Von Dämonen und Schutzengeln
Das ist Tandri, Islandpferd Extraordinär.
Elf Jahre lang war er mein Freund und Begleiter und ein nicht wegzudenkender Bestandteil meines Lebens.
Er war freundlich, nervig, frech, abenteuerlustig, ängstlich, aufdringlich, liebenswert, anstrengend und immer geliebt - alles zusammengeschnürt zu einem scheckigen, unvergleichbaren Päckchen
Energie.
Als ich ihn in 2007 gekauft habe war er fünf Jahre alt und gerade angeritten.
Wir haben mehrere Jahre gebraucht, um zu einem halbwegs harmonischen Reiter-Pferd-Paar zusammen zu wachsen, aber auf dem Boden hatten wir sofort die gleiche Wellenlänge.
Er brachte mir bei, ihm Leckerli zu füttern wenn er seinen Futtereimer apportierte, und im Gegenzug lernte er von mir, meine Bewegungen nachzumachen und mit mir zu tanzen.
Außerdem konnte er Ball spielen, das Kompliment ausführen und eine Decke von seinem Rücken ziehen wie ein richtiges Zirkuspony.
Das eine Wort, das ihn am besten beschrieb war "rastlos".
Er war schnell gelangweilt und noch schneller abgelenkt.
Er konnte seine Menschen in den Wahnsinn treiben mit seinen ständigen Forderungen nach Aufmerksamkeit. Genauso mit seinen Herdengenossen, die ihn teilweise mit Gewalt zurechtweisen mussten.
Das resultierte in einer Serie von zunehmend ersten Verletzungen.
Trotzdem hat Tandri nie seine Begeisterung dafür verloren, Menschen und Pferde zu belästigen. Wenn wir ihn aus der Herde genommen haben, wurde er so unleidlich, dass wir bald wieder weich geworden sind und ihn zurück zu seinen Freunden gelassen haben.
Hier ist eine (nicht komplett erfundene) Geschichte, die Tandri mir erzählt hat, nachdem er im Frühjahr 2016 einen Tritt ans Knie bekam, der eins der Bänder über seiner Kniescheibe durchtrennt hatte:
*****
Hallo Frauchen, schön dich zu sehen! Ich muss dir ein Geheimnis verraten.
Oh, ist das eine Möhre die ich da rieche? Ja, das ist bestimmt eine Möhre. Brauchst du die noch? Nein? Dankeschön, du bist die Beste.
Wo war ich? Ach ja, mein Geheimnis.
Wusstest du schon dass es böse Dämonen gibt, Dämonen die sich darauf spezialisieren, uns Islandpferde zu triezen? Es gibt schrecklich viele davon.
Einige sind mehr oder weniger harmlos. Sie verstecken sich im Gebüsch oder unter Plastikplanen, nur um dann plötzlich herauszuspringen und vorbeikommende Pferde zu schockieren. Ach ja, und sie
lieben es, sich in Regenschirmen zu verstecken.
Vor allem in Regenschirmen!
Hilfe! Hast du das gesehen? Da ist einer von denen! Würde es dich sehr stören wenn ich mich hinter dir verstecke?
Ach ja, diese Dämonen. Wie ich schon sagte, die kleinen Dämonen wie der da drüben -- du hast den bestimmt gesehen, oder? Ich bleibe lieber noch ein bisschen hinter dir stehen und schiele um dich
rum, wenn das okay ist?
Also. Diese kleinen Dämonen finden es toll, uns zu erschrecken. Nicht dass ihnen das gelingen würde! Wenn du vorgehst wäre ich jetzt soweit, den da drüben genauer untersuchen zu gehen. Ich
schnaube dann nur ein bisschen, und baue mich auf und trage meinen Kopf so hoch ich kann. Das vertreibt sie.
Siehst du, er ist weg. Ich habe ihn in die Flucht geschlagen!
Oh, musst du schon gehen? Aber ich habe dir den Rest von meinem Geheimnis noch nicht verraten!
Seufz.
Na gut, dann beim nächsten Mal.
***
"Hey, kleines Pferdchen, siehst du die Wespe da drüben? Geh sie mal genauer untersuchen. Schließlich ist dir schrecklich langweilig, und die Wespe macht so interessante Geräusche. Und ich sage dir, Wespen sind essbar und schmecken vorzüglich!"
***
Oh, hallo, da bist du ja wieder. Hast du mir eine Möhre mitgebracht? Dankeschön.
Erinnerst du dich noch an diese Dämonen, von denen ich dir letztens erzählt hab? Einige von denen hängen sich an einzelne Pferde. Drei von ihnen sitzen da auf meinem Widerrist, siehst du
die?
Die flüstern mir ständig ins Ohr.
Aua! Fass meine Lippe nicht an. Ja, ich weiß dass die geschwollen ist. Nein, ich will nicht, dass du da Salbe drauf tust. Das tut weh!
Du kannst mich nicht reiten wenn meine Lippe so dick ist? Oh, das macht nichts. Lass uns stattdessen spazieren gehen und die Welt da draußen erforschen!
Ach ja, und wusstest du eigentlich, dass Wespen furchtbar schmecken?
***
"Geh spiel mit dem freundlichen Wallach da drüben. Der hat Lust zum Spielen, ganz bestimmt! Auch wenn er sich ziert und so tut als wollte er seine Ruhe haben."
***
Der hat mich getreten! Ich hab ihn nur in den Hintern gebissen um ihn zum Spielen zu motivieren -- höchstens vier oder fünf Mal. Und der hat mich einfach ans Knie getreten! Alle haben gesagt, der
sei freundlich. Sie haben mich angelogen!
Nein, im Moment möchte ich lieber nicht spazieren gehen. Eigentlich würde ich viel lieber hier stehen bleiben und das Bein gar nicht bewegen. Bleibst du ein Weilchen bei mir? Du kannst mich in
den Arm nehmen wenn du willst. Und hinter den Ohren kraulen.
Ja, genau da. Und hast du vielleicht eine Möhre dabei? Ich könnte grad eine brauchen.
Danke. Das hilft ein bisschen.
***
Weißt du, es ist Frühling! Perfekt zum Rennen und Rumtoben, und die Menschen halten dich hier in der Box
gefangen. Ist das nicht gemein, wie sie dich am Toben hindern?"
***
Ah, da bist du ja endlich wieder. Ja, heute will ich sehr gerne spazieren gehen.
Nein, mein Knie tut überhaupt nicht mehr weh. Lass uns losgehen! Oh, guck mal, sieht das Gras da drüben nicht besonders grün aus? Lass uns mal schnell hin traben!
Ach, du willst nicht traben? Bist du sicher! Ach komm, sei nicht langweilig!
Okay, okay, wir gehen Schritt. Aber nur weil du's bist.
Andererseits ... Weißt du, heute ist so ein schöner Frühlingstag, der ist doch einfach perfekt zum Rennen.
Was meinst du damit, mein Knie ist noch nicht wieder gesund. Ist mir doch egal was der Tierarzt sagt, wenn heute so ein toller Tag ist!
Lass mich los, versuch' nicht mich zu stoppen! Bis später!
***
Hfff. Hfff. Da ... hfff ... bist du ja ... hfff ... endlich. Hfff!
Wo warst du denn so lange?
Nein, nein, ich habe mir nicht noch eine Sehne in meinem Knie gerissen. Warum sollte ich?
Ach, ich habe dir noch gar nicht von den Schutzengeln erzählt, oder?
Sie ordnen sich einzelnen Pferden zu, genau wie die Dämonen. Ich habe sieben Stück davon, siehst du sie da drüben auf dem Stalltor?
Nein, natürlich gebe ich denen nicht sehr viel zu tun. Warum fragst du?
*****
Am Samstag den 12. Mai 2018 hat Tandri seine überarbeiteten Schutzengel einmal zuviel beansprucht.
Jetzt galoppiert er über die immer grünen Wiesen des Pferdehimmels.