Gehorsam ist nicht zu erzwingen
Ich hatte gerade den Vertrag zu meinem ersten „richtigen Job“ unterschrieben, als ich hörte dass das Pferd zum Verkauf stand, das ich in den letzten Wochen regelmäßig im Reitunterricht geritten hatte. Besorgt, dass mir jemand zuvorkommen könnte, kaufte ich ihn, ohne lange nachzudenken.
(Hinweis am Rande: Leute, macht das nicht. Eine Entscheidung, die gegebenenfalls für die nächsten 15 oder mehr Jahre bindet, sollte nicht so überstürzt und unüberlegt getroffen werden, wie ich das damals getan habe.)
Wirklich bereut habe ich diese überstürzte Entscheidung nie, aber ich habe im Laufe der ersten paar Jahre mit Sörli jede Menge Tränen vergossen. Sörli war zu jung und zu schlecht ausgebildet für meine mageren Reitkünste, und die Unterstützung, die ich zu dem Zeitpunkt von Trainern bekam, war bei weitem nicht ausreichend, um mich im Umgang mit seinem Mix aus Angst und Ungehorsam zu unterstützen.
Ich sah die Angst in ihm, und wusste nicht, wie ich damit umgehen sollte. Ich sah auch den Ungehorsam, und bekam gesagt, ich müsse ihm den austreiben. Wenn ich nur streng genug mit ihm wäre und ich durchsetzte, müssten sich meine Schwierigkeiten in Luft auflösen.
Also versuchte ich das – und scheiterte. Und versuchte und scheiterte wieder, und wieder. Mein junges Pferd flippte bei jeder Gelegenheit aus, ging regelmäßig mit mir durch, und weigerte sich, die (aus meiner Sicht) einfachsten Aufgaben auszuführen.
An einem Tag, der mir noch wie gestern im Gedächtnis ist, artete ein gemütlicher Spaziergang am Halfter in einen Ringkampf aus, weil Sörli mit aller Macht versuchte, sich loszureißen und nach Hause zu galoppieren.
Jahre vergingen, und langsam machten wir Fortschritte. Ich nahm Reitstunde über Reitstunde, machte Kurse bei bekannten Trainern, nahm an einem Lehrgang zu Natural Horsemanship teil. All das half, aber nicht genug. Sörli und ich wurden uns nicht so richtig grün. Wann immer etwas passierte, was ihn erschreckte, rebellierte er und wollte mit mir durchgehen.
Wir hatten auch unsere guten Momente.
Manchmal, wenn ich mit Sörli frei arbeitete, folgte er mir kreuz und quer durch die Reithalle. Dann war er wie ausgewechselt. Keine Spur von dem nervösen und aufsässigen Verhalten, das er so oft an den Tag legte.
Einmal, nachdem es stark geschneit hatte und ich nur kurz in den Wald reiten und dann umdrehen wollte, weigerte Sörli sich, den Heimweg anzutreten. Ich gab ihm lange Zügel, und er drehte von sich aus eine gemütliche Schrittrunde mit ein paar kurzen Trabstrecken. Er war entspannt, guckte interessiert in der Gegend herum, und wirkte rundrum zufrieden mit der Welt – und ausnahmsweise auch mit mir.
Und dann war da der Ausritt, auf dem uns ein Rudel nicht angeleinte Hunde im Wald mit voller Geschwindigkeit hinterher jagte. Ich sprang vom Pferd, stellte mich mit ausgebreiteten Armen vor mein Pferd und stoppte die Hunde. Sörli stand hinter mir, der Zügel hing locker durch, und er versuchte nicht, wegzurennen. Er vertraute darauf, dass ich ihn vor den Hunden beschützen würde.
Aber der richtige Durchbuch kam erst, als ich keine Möglichkeit mehr hatte, Reitstunden zu nehmen, und mich alleine durchkämpfen musste.
Da ich ohne Hilfe eines Trainers keine Chance hatte, Sörli nur mit Hilfe meiner eigenen Reitkenntnisse zur Mitarbeit zu zwingen, versuchte ich einen anderen Weg: Inspiriert durch das Join Up aus der Natural Horsemanship fing an, Sörli Wahlmöglichkeiten zu geben. Und auf einmal hörte er auf, sich zu wehren und akzeptierte meine Authorität.
Klingt unlogisch, oder?
Naja, nicht wirklich. Jahre später traf ich meine aktuelle Trainerin Johanna Tryggvason (*). Sie sagte mir etwas, was Sörli mir damals beigebracht hatte:
Das Pferd sollte immer das Gefühl haben, aus freien Stücken mitgearbeitet und gehorcht zu haben.
Wir können versuchen, das Pferd zur Mitarbeit zu überreden, wir können auch sanften Druck ausüben. Aber das Pferd sollte nie den Eindruck bekommen, dass wir es gegen seinen Widerstand gezwungen haben.
Das ist natürlich leichter gesagt als getan. Aber trotz meiner Unerfahrenheit und manchmal auch Ungeschicklichkeit im Umgang mit Sörli haben mir damals meine gelegentlichen Erfolge den Weg in die richtige Richtung gewiesen.
Zum Beispiel hatte er sich angewöhnt, vor mir wegzulaufen, wenn ich ihn von der Weide holen wollte. Bisher hatte ich in derartigen Situationen oft Hilfe geholt und mit vereinten Kräften mein Pferd in eine Ecke getrieben, damit ich es aufhalftern konnte. Jetzt ging ich einfach hinter ihm her, wenn er wegrannte, und wartete, bis er sich beruhigt hatte, bevor ich mich ihm wieder näherte. Wenn er wieder weglaufen wollte, versuchte ich nicht, ihn daran zu hindern. Wenn er die Lust am Wegrennen verloren hatte, erlaubte er mir, näher zu kommen. Dann bot ich ihm das Halfter an, und er konnte sich entscheiden, ob er sich aufhalftern ließ, oder ob er lieber wieder wegrennen wollte. Anfangs haben wir oft eine halbe Stunde oder mehr mit dieser Übung verbracht, bis er sich schließlich aufhalftern ließ.
Wichtig dabei: Bevor ich mit dem Halfter auf die Weide ging, machte ich mir selbst klar, dass heute das Training aus dem Einfangen bestand, und sonst nichts. So war ich nie enttäuscht, wenn Sörli sich nicht direkt aufhalftern ließ, und wurde vor allem niemals ärgerlich, weder auf mich selbst, noch auf mein Pferd.
Und diese Einstellung machte einen Riesen-Unterschied. Je gelassener ich mit dem Thema umging, desto besser ließ Sörli sich einfangen. Nach kurzer Zeit verschwand das Problem komplett: Als sei ein Schalter umgelegt worden, begrüßte Sörli mich von da ab freundlich, wenn ich zu ihm auf die Weide kam, und kam mir manchmal sogar ein paar Schritte entgegen.
Positiv überrascht fing ich an, meine neue, entspannte Grundhaltung auch in anderen Bereichen einzusetzen. Statt mich (wie bisher immer) zu ärgern, wenn eine Übung nicht klappte, lachte ich über mich und mein Pferd und bot ihm eine andere Übung an. Das fröhliche Lachen half mindestens genauso viel, wie die angebotene Alternative, und nach und nach entwickelte sich mein aufsässiges Pferd zu einem gelassenen, zuverlässigen Partner. Auf einmal ging er nicht mehr durch, und regte sich nur noch selten auf, wenn ich etwas von ihm verlangte, was er nicht tun wollte.
Beziehungsweise, was er nicht tun konnte. Im Nachhinein weiß ich, dass ein Großteil meiner Probleme mit Sörli daher kamen, dass ich mein junges, unsicheres Pferd überfordert hatte.
Schlussendlich wurde Sörli das erste Pferd meines Mannes.
Der war zu dem Zeitpunkt ein kompletter Anfänger, womit Sörli ganz hervorragend umgehen konnte.
Zwischen den beiden entstand eine wundervolle Freundschaft, basierend auf gegenseitiger Rücksichtnahme und Vertrauen.
Aber die Geschichte soll ein andermal erzählt werden.
(*) Wollt Ihr mehr über mein Training mit Johanna Tryggvason erfahren?
Hier ist eure Chance!
Am 30. April ist Helgis Junpferdetagebuch beim Müller Rüschlikon Verlag erschienen.
Das Buch begleitet ein Jahr lang die Ausbildung meines jungen Islandwallachs Helgi, mit allen Höhen und Tiefen, die in so einer Jungpferdeausbildung auftreten.
Johanna stand mir dabei mit Rat und Tat zur Seite, und ich durfte ihre Trainingstipps im Buch festhalten.
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